Herr Dr. Haas, als Leiter der Burnout-Gruppe der Klinik Hohenegg sind Sie täglich in Kontakt mit betroffenen Personen, die sich in einer Burnout-Situation befinden. Wenn Sie drei Hauptgründe nennen müssten im Sinne der Prävention, welche nicht oder unzureichend funktioniert haben in Bezug auf die Verhinderung eines Burnouts – welche wären dies?

Drei Hauptgründe für unzureichende Burnout-Prävention bei Betroffenen sind:

1. Mangelnde Selbstfürsorge und Selbstbegrenzung. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren. Sie setzen sich unrealistische Ziele, vernachlässigen eine gesunde Work-Life-Balance und schaffen es nicht, nein zu sagen.

2. Unzureichendes Beziehungs- und Zeitmanagement. Oft werden Beziehungen ausserhalb der Arbeit vernachlässigt und es fehlt dadurch an einem angemessenen Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben.

3. Fehlende Sinnorientierung. Viele Menschen verlieren den Blick für den tieferen Sinn ihrer Arbeit und ihres Lebens. Eine Neuausrichtung der persönlichen Werte und Ziele wird wegen der Belastungsintensität häufig vernachlässigt bzw. immer wieder aufgeschoben.

Weiter zeichnet sich ab, dass betroffene Personen im beruflichen Umfeld nicht angesprochen werden auf die sich meist offensichtlich verändernden Verhaltensweisen. Es ist oft eine Kombination aus fehlender Selbstfürsorge sowie vernachlässigter Fürsorgepflicht seitens Arbeitgebenden.

«Betroffene werden im beruflichen Umfeld nicht angesprochen auf die sich meist offensichtlich verändernden Verhaltensweisen.»


Wann spricht man von einem Burnout und wann sind die medizinischen Folgen gesundheitsschädigend?

Burnout ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Risikozustand mit Erschöpfungssyndrom nach chronischem Stress. Es umfasst drei Dimensionen: Emotionale Erschöpfung, Depersonalisation/Zynismus und reduzierte Leistungsfähigkeit. Die gesundheitsschädigenden Folgen können vielfältig sein und reichen von Depressionen mit Symptomen wie Deprimiertheit und Antriebsarmut bis zu körperlichen, stressbedingten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen oder Magen-Darm-Beschwerden. Auch somatoforme Störungen wie chronische Schmerzen zählt man zu den physischen Leiden, während Angststörungen, Schlafstörungen sowie Substanzmissbrauch den psychischen Leiden zuzuordnen sind. Die WHO definiert Burnout seit 2022 als arbeitsbezogenes Phänomen, das zu Gesundheitsschäden führen kann.

Inwiefern können Arbeitgebende, welche die Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Mitarbeitenden nicht oder unzureichend wahrnehmen, haftbar gemacht werden im Falle eines Burnouts und Erkrankung ihrer Mitarbeitenden?

Arbeitgeber haben eine gesetzliche Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Diese ist in verschiedenen Gesetzen verankert:

– Art. 328 OR verpflichtet Arbeitgeber, auf die Gesundheit der Mitarbeitenden Rücksicht zu nehmen.

– Art. 6 Abs. 2 Arbeitsgesetz (ArG) fordert eine Gestaltung der Arbeitsabläufe, die Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen vermeidet.

– Art. 2 Verordnung zum Arbeitsgesetz (ArGV 3) verlangt die Vermeidung übermässiger Beanspruchung.

Bei Verletzung dieser Pflichten kann der Arbeitgeber schadenersatzpflichtig werden, wenn:

1. Stressverursachende Arbeitsbedingungen geschaffen wurden.
2. Der Arbeitnehmer nachhaltig überlastet wurde.
3. Dies zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung und finanziellem Schaden führte.
4. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schaden besteht.
5. Die Gesundheitsgefährdung für den Arbeitgeber vorhersehbar war.

Ein Bundesgerichtsurteil vom Dezember 2019 bestätigte grundsätzlich die Haftung eines Arbeitsgebers wegen Verletzung der Fürsorgepflicht und der daraus abgeleiteten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche der Arbeitnehmerin bei einem Burnout, weil der Arbeitgeber keine wirksamen Massnahmen zur Reduktion der Arbeitsbelastung unternommen hat.

Welche möglichen Symptome oder Auffälligkeiten zeigen betroffene Personen am Arbeitsplatz im Falle eines sich anbahnenden Burnouts?

Frühwarnzeichen am Arbeitsplatz für mentale Erschöpfung in Bezug auf Veränderungen des Verhaltens, die auffallend sind, können folgende sein:

– Fehlende Motivation, nachlassende Kreativität
– Pausenloses Arbeiten, auch abends und am Wochenende
– Häufige kurze Absenzen und Krankheiten
– Auflehnung gegen Vorgesetzte, Vermeiden von Mitarbeitergesprächen
– Zunehmende Leistungsschwankungen und Fehleranfälligkeit
– Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit

Auch im sozialen Leben zeichnen sich Veränderungen ab, die allenfalls ebenfalls am Arbeitsplatz sichtbar werden. Hierzu zählen Gereiztheit und vermehrte Konflikte, sozialer Rückzug, Vernachlässigung der Gesundheit und der äusseren Erscheinung.

«Die Kompetenz zur Selbstfürsorge ist erlernbar und sollte gefördert werden, um langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben.»


Stichwort Selbstfürsorge: Haben die Menschen in unserer Gesellschaft verlernt, sich selbst abzugrenzen?

In der Tat scheint die Fähigkeit zur Selbstfürsorge und Selbstabgrenzung in unserer modernen Gesellschaft oft vernachlässigt zu werden. Dafür gibt es viele Gründe. Einerseits ist die ständige Erreichbarkeit durch die digitalen Technologien gestiegen, welche die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verwischt. Miteinher spielt die gesellschaftliche Erwartung an die ständige Produktivität und die Verfügbarkeit eine Rolle. Dem gegenüber steht ein hoher Leistungsdruck und Perfektionismus, die es erschweren «Nein» zu sagen und Grenzen zu setzen. Dies kann zu mangelnder Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse führen. Die Kompetenz zur Selbstfürsorge ist jedoch erlernbar und sollte aktiv gefördert werden, um langfristig gesund und leistungsfähig zu bleiben. Diese Fähigkeit zur Selbstfürsorge ist essenziell zur Erlangung der inneren Balance und Harmonisierung und steht im Zentrum unserer Therapiebemühungen für Burnout-Patienten der Klinik Hohenegg, damit Betroffene ihre individuell eigene, gesundheitsfördernde Lebensform finden können.


Über Dr. Sebastian Haas:
In seiner Funktion als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Stv. Ärztlicher Direktor an der Privatklinik Hohenegg sowie als Präsident des Schweizer Expertennetzwerks für Burnout engagiert sich Dr. Sebastian Haas aktiv für die Prävention entsprechender Krankheitsbilder, insbesondere in Bezug zu psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz. Dr. Sebastian Haas ist ebenfalls als Dozent aktiv in Weiter- und Fortbildungen in genanntem Themenfeld.

Die PK Rück trägt mit Präventionsangeboten und Wiedereingliederungsmassnahmen aktiv dazu bei, die Neuverrentungsquote zu senken. Unser Kompetenzzentrum bietet Kunden effiziente Unterstützung bei der Prävention sowie der beruflichen und sozialen Wiedereingliederung.